'Murderhobo'

'Murderhobo' ist ein ursprünglich abwertender, aber bisweilen auch zärtlich verwendeter Begriff für eine bestimmte Art Spielercharakter bei D&D.

Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff "mörderischer Landstreicher" und spielt auf Charaktere an, die...

  1. nicht in der Spielwelt verwurzelt sind (weil sie keine Hintergrundgeschichte haben, ihre sozialen Bindungen ignorieren oder sie von Abenteuerschauplatz zu Abenteuerschauplatz herumreisen) und
  2. jederzeit bereit sind zu töten (üblicherweise um sich zu bereichern oder weil sie Autorität nicht mögen, schnell beleidigt sind usw.).

Es ist offensichtlich, warum sie bei vielen Rollenspielern, insbesondere Spielleitern, verhasst sind, aber ich kann ihrer Natur auch etwas Positives abgewinnen:

Ein 'murderhobo' ist frei von allen sozialen Verpflichtungen (gegenüber Fürst, Stamm, Familie usw.) und Erwartungen (an Ehrgefühl, Stand, Religion, Kultur usw.), ganz ähnlich übrigens wie viele Helden des Wilden Westens oder Figuren wie Conan (den ich allerdings nicht als 'murderhobo' einstufe).

Da ein 'murderhobo' die Möglichkeit hat, jederzeit weiterzureisen und den Tod kaum fürchtet (da er eine leicht ersetzbare Spielfigur ist), kann er sich völlig rücksichtslos verhalten und z.B. auf jede Beleidigung oder vermutete Reichtümer mit Gewalt reagieren.

Mit anderen Worten: Einen 'murderhobo' zu spielen hat den Reiz einer hemmungslosen Machtphantasie. Selbst wenn die Spielwelt ihrerseits keine Rücksicht nimmt und ihn zur Strecke bringt, so stirbt er dennoch frei und ungebeugt.

Nach meiner Erfahrung schlagen Charaktere, die zwar keine 'murderhobos', aber ähnlich ungebunden und moralisch flexibel sind, früher oder später Wurzeln (Beziehungen zu NSCs, eine eigene Basis usw.) und wachsen den Spielern ans Herz (unter anderem durch Stufenanstiege).

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Der Siegfried des Nibelungenliedes ist der Inbegriff des 'murderhobo':

Zum einen ist er ein umherziehender Glücksritter, der Drachen und Zwerge erschlägt und schlussendlich Gunther seinen Schwertarm leiht (um Kriemhilds Hand zu gewinnen). Seine edle Herkunft wirkt und ist literaturhistorisch aufgesetzt, was man u.a. daran sieht, dass er mehrfach an der Hauptstadt seines Reiches vorbeikommt, ohne das dies (oder ein Besuch bei seinen königlichen Eltern) erwähnt wird.

Zum anderen ist da die völlige Unbekümmertheit, mit welcher er jederzeit und spontan Gewalt und Täuschung zur Erreichung seiner Ziele einsetzt:

(1) Er erschlägt Schiltung und Nibelung im Zorn, fordert beim freundlichen Empfang durch Gunther direkt dessen Königreich und bezwingt und vergewaltigt Brünhild.*

(2) Er täuscht eine niedere Herkunft vor und bietet bereitwillig einen falschen (!) Eid an, frei von Ehrgefühl oder Gottesfurcht.

Dennoch ist er der Held des Nibelungenliedes, denn er zeigt Mut, Mitleid, Großzügigkeit, Vertrauen und Treue -- herrliche Eigenschaften, die sich ein Spieler mit einer Fantasyfigur gerne leistet.

Siegfrieds Beziehung zu Kriemhild ist innig und zärtlich, was man nicht zuletzt daran erkennen kann, dass er alle Geheimnisse mit ihr teilt und Kriemhild nach seiner (verdienten) Ermordung ihr Leben auf Rache ausrichtet…

Was für ein Held!

Was für ein Held?

Ein 'Murderhobo'...

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P.S.: Der Blogger "The Disoriented Ranger" bezeichnet Siegfried auch als 'murderhobo'. Dies geschieht im Rahmen einer vergnüglichen Nacherzählung des Nibelungenliedes aus Rollenspielersicht. Schade, dass die Artikelserie nie zu Ende geführt wurde…

*-*-*

*Siegfried ist eine bekannte Heldenfigur, die aber - wie oben ausgeführt - auch dunkle Seiten hat. Die brutale Gruppenvergewaltigung von Brünhild wird sowohl im Nibelungenlied, mehr noch aber in manchen Nacherzählungen verharmlost, u.a. durch ein Fokussieren auf Gunthers angebliche Lächerlichkeit-- weil ihm eine Vergewaltigung alleine misslingt. Es handelt sich auch keinesfalls 'nur' um eine Vergewaltigung in der Ehe, denn die Ehe ist aufgrund einer Täuschung zustande gekommen und auch noch nicht vollzogen / rechtskräftig. Im mittelhochdeutschen Text wird indes immerhin die lebensbedrohliche und brutale Gewaltanwendung Siegfrieds sehr konkret beschrieben, z.B. wenn es heißt, dass Brünhilds Knochen und Leib "krachend fast zerbrechen", bis sie schließlich um ihr Leben fleht: "ir taten sine krefte / harte grozlichen we." und "daz ir diu lid erkrachten / unt ouch al der lip." Wenn ich hier Siegfried (auch) als Identifikationsfigur feiere, möchte ich seine Verbrechen damit keinesfalls verharmlosen. Er verdient m.E. den Tod, mindestens nach mittelalterlichen Maßstäben.

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