Mehrfachangriffe

Mehrfachangriffe aufgrund einer hohen Stufe sind eine Schlüsselfertigkeit in der Urfassung des Spiels (OD&D, 1974): ein Charakter der 4. Stufe ist ein "Held" und kämpft wie vier Männer, einer der 8. Stufe ist ein "Superheld" und kämpft wie acht Männer. Analog greift ein Troll mit sechs Trefferwürfeln einen Trupp einfacher Soldaten auch sechs mal an!

 

Diese Fähigkeit geht in späteren Fassungen von D&D rasch verloren. Kämpfer haben sie bereits in B/X (1981) nicht mehr, die AD&D-Implementierung (1979) ist wie üblich grässlich kompliziert (drei Angriffe pro zwei Runden usw.) und die 3e-Umsetzung (zweiter Angriff mit -5, dritter mit -10 usw.) bei Gegnern von ähnlicher Stufe uninteressant.

 

(Letzteres gilt bereits für OD&D, aber dort wird viel mehr gegen Massen schwacher Gegner gekämpft, so dass die Fähigkeit im Kern nützlich bleibt. Bei 3e/4e steigt die Rüstungsklasse so schnell an, dass 20 Orks bald keinerlei Bedrohung mehr darstellen.)

 

Ungeheuer verlieren die Fertigkeit ebenfalls, werden aber mit anderen Mehrfachangriffen (z.B. 2 Klauen plus 1 Biss) kompensiert, welche sich jedoch auf ein Ziel konzentrieren lassen. Das führt dazu, dass sich Kämpfe in den höheren Stufen ähnlich anfühlen wie Kämpfe in den niedrigen.

 

(Dies ist sogar ein erklärtes Ziel von 4e und 5e: D&D soll sich immer gleich spielen, nur mit größeren Zahlen, denn so bleibt man im "sweet spot" (ungefähr von Stufe 3 bis 6), bei dem man ein paar Treffer einstecken kann, aber nicht unverwundbar wirkt. Damit wird freilich die natürliche Evolution im ursprünglichen Kampagnenverlauf verschenkt.)

 

Die spielmechanische Folge ist, dass Kämpfer und große Ungeheuer im Grunde zu schwach sind, was dann mehr schlecht als recht kompensiert wird: Kämpfer allein vermögen Schwerter zu führen oder erhalten viele zusätzliche Spezialeigenschaften (sog. "Feats" in 3e); Ungeheuer erhalten immer mehr Trefferpunkte (z.B. x2 als "Elite" oder x4 als "Solo" in 4e oder Zusatzaktionen wie "Lair Actions" in 5e).

 

Ein Oger hatte einst ungefähr 15 Trefferpunkte, heute sind es knapp 60. Aber ein Streitkolben richtet immer noch 1W6 Schaden an -- natürlich ohne Spezialeigenschaften…

 

Die ganzen Spezialeigenschaften sind einer der Gründe, warum moderne Fassungen von D&D so kompliziert sind. Dies hat auch neben der nun nötigen Kenntnis umfangreicher Regeln schwerwiegende Folgen: Die Spielgeschwindigkeit sinkt rapide, sowohl für die Charaktererschaffung als auch für Kämpfe. Das hat aber auch noch die Folge, dass der Tod von Charakteren noch unangenehmer wird (und aus der Spielkultur verschwindet) und dass natürliche Handlungsoptionen (z.B. das Anheuern von Söldnern für einen Großangriff) aus dem Spiel verschwinden (müssen).

 

Was für ein Schlamassel!

 

Die Lösung liegt auf der Hand: Eine Rückkehr zu den Wurzeln!

 

(Aber bitte nicht B/X, dem Darling der Old School Renaissance, sondern zumindest zu AD&D, besser noch zu OD&D. Für letzteres ist übrigens gerade der Retroklon Swords & Wizardry bei System Matters auf Deutsch erschienen.)

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