Finsteres Mittelalter
Einer meiner Spieler kann die Zustände in der Welt des Nibelungenliedes nur schwer ertragen.
Die gesellschaftliche Ordnung des Nibelungenliedes - also der Spätantike bzw. des Mittelalters - ist in der Tat bedrückend:
1. Das Elend der Sklaven bzw. Leibeigenen ist selbstverständlicher Alltag.
2. Eroberungskriege des Adels sind Normalität und für Recken wie Siegfried sogar Anlass zur Freude.
3. Die Auswirkungen der Gewalt für die Opfer wird nur für adelige Frauen gezeigt. Immerhin ist die Ohnmacht von Brunhilde und Kriemhild ein Thema -- allerdings nicht bei Im Reich der Nibelungen.
4. Die Auswirkungen der Gewalt für die Täter (von Todesangst über posttraumatische Belastungsstörungen bis hin zur Verrohung usw.) wird nicht thematisiert. Immerhin nimmt der Loyalitätskonflikt Rüdigers einigen Raum ein.
Will man in so einer Welt spielen? Insbesondere wenn man einen Repräsentanten dieser Gesellschaftsordnung oder einen entrechteten Erfüllungsgehilfen spielt?
Das muss jeder selbst entscheiden!
Ich persönlich denke, dass ein Rollenspiel kaum umhin kommt, ganz bestimmte Dinge in den Blick zu nehmen -- und dabei andere außer Acht lässt, vereinfacht oder gar verfälscht.
Ich finde, man sollte (a) sich dessen bewusst sein (und die Dinge auch beim Namen nennen) und (b) gute Gründe haben, etwa einen Adeligen im finsteren Mittelalter zu spielen.
Bei Im Reich der Nibelungen geht es im Kern um das archetypische Hinabsteigen in die Unterwelt (sog. Katabasis) durch einen Helden. Das kann profaner Eskapismus oder eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Unbewussten im Sinne von C. G. Jung sein -- oder irgendetwas dazwischen...
(Ich habe mich anfangs nicht mit dieser Problematik befasst und auf Nachfrage gesagt, ich habe mir ein idealisiertes Mittelalter vorgestellt - mit weisen Königen und zufriedenen Untertanen. Die Adeligen in meinen Abenteuern waren aber ganz anders, so dass ich mich hier korrigieren muss. Ich hatte es mir zu einfach gemacht. Der betreffende Spieler hat als Spielleitung noch sehr viel düsterere Adelige und Machenschaften porträtiert und zum Kernstück seiner neuesten Abenteuer gemacht. Hut ab!)
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